Mißernten

geschwungene Linie

Witterungsschäden

Die Landwirtschaft ist abhängig vom Wetter. Für das Wachstum der Pflanzen sind ausreichend Niederschläge notwendig. Zum Ausreifen von Bohnen, Erbsen und Getreide muss das Wetter aber trocken sein. Zuviel oder zu wenig Regen oder Regen zur falschen Zeit verminderte den Etrag und schadete der Haltbarkeit des Ernteguts. Es war bis in die Neuzeit nicht möglich Getreide nachzutrocknen. War es zu feucht verschimmelte es in den Speichern.
Lange Winter verhinderten, dass früh genug ausgesät werden konnte. Das Getreide wurde vor dem Herbst nicht mehr reif. Spätfröste im Mai oder Juni konnten die gekeimten Sämlinge abtöten. Hagelschlag oder Brände in trocknen Sommern vernichteten ganze Ernten.
Da die Menschen oft in der Nähe von Flüssen und an der Küste lebten waren sie zusätzlich von Hochwasser bedroht. Ernte und Vieh wurden fortgespült und die nassen Äcker konnten nicht bebaut werden bevor das Wasser wieder fort war. Durch die Ernteausfälle fehlte den Menschen auch das Saatgut für eine neue Aussaat. Heute gibt es Versicherungen. Früher gab es den Hungertod.

Schädlinge vernichten die Ernte

Maikäfer, Heuschrecken und andere Schädlinge bedrohten die Nahrungsgrundlage der Menschen. Dafür wurden sie im 14. Bis 17. Jahrhundert vor Gericht gestellt und konnten mit kirchlichen Bannen belegt werden. Heute geht man mit Insektiziden gegen sie vor. In unserer Überflussgesellschaft wird das inzwischen aus ökologischen Gründen weitegehend abgelehnt. Es wäre aber schon etwas vermessen dasselbe Maß in von Hungernöten bedrohten Gebieten anzusetzen. Man kann kaum erwarten, dass ein Mensch lieber in den nächsten Wochen verhungert, als das Risiko einzugehen, in Jahrzehnten möglicherweise mit höherer Wahrscheinlichkeit Krebs zu bekommen.
Der Kartoffelkäfer und die Kraut- und Braunfäule vernichteten während des zweiten Weltkrieges die Ernten. Hätten damals Pflanzenschutzmittel zur Verfügung gestanden, wäre die Not nicht so groß gewesen.
Bis heute verursachen Schwärme von Wanderheuschrecken Hungersnöte. 2004 vernichteten sie Mais und Maniok in Westafrika und 500.000 Menschen litten darunter. 2013 und 2014 kämpfte Madagaskar gegen die größte Heuschreckenplage des Landes. 4 Millionen Menschen mussten um ihre Existenz fürchten. Die Schwärme sind bis 50 km breit und 10 km lang. Sie fressen auf dieser breiten Front jeden Halm und jedes Blatt auf dem sie landen. Betroffen ist heute vor allem Afrika. Aber früher waren Heuschrecken auch in Europa eine Plage. 873 sollen zur Erntezeit Heuschrecken über die Felder in Mainz hergefallen sein und in einer Stunde 100 Joch Getreide (ca. 35 Hektar) vernichtet haben. Aus dem Jahr 941 gibt es einen Bericht über eine Heuschreckenplage in Münster. Die bei uns auftretenden Heuschrecken waren aber nie alleiniger Auslöser für mehrjährige Hungersnöte in größeren Gebieten.
In Asien befallen heute Planthopper (Zikaden) Reis und können ganze Bestände auslöschen. In China haben die Tiere 2005 2,8 Millionen Tonnen Reis vernichtet. In Thailand gingen zwischen 2009 und 2011 etwa 1,1, Millionen Tonnen Reis an die Tiere verloren. Zusätzlich übertragen sie auch noch einen Virus, der den Reis schädigt.
Nicht weniger wichtig sind die Raupen von Schmetterlingen wie dem Kohlweißling oder der Kohleule, die ganze Kohlbestände vernichten können. Gemüsefliegen, deren Maden Möhren, Kohlrabi, Radieschen, Rüben und anderes Gemüse zerfressen, bedrohen ohne eine Bekämpfungsmöglichkeit die Nahrungsgrundlage ganzer Städte.
Dazu kommen dann noch Schnecken, Drahtwürmer und Rüsselkäfer. Nematoden befallen die Wurzeln der Pflanzen und verursachen Kümmerwuchs. Früchte werden dann gar nicht gebildet und die Ernte fällt aus. Chemische und auch biologische Bekämpfungsmethoden sichern heute unsere Ernten. Früher waren die Schädlinge Grund für Hungernöte.

Getreidepilz tötet Mensch und Tier

Insekten lassen sich aber in der Regel recht gut bekämpfen. Schwieriger ist es mit Pilzen. Ihre Entwicklungszyklen sind oft kompliziert und manche Pilze kann man bis heute nicht wirklich bekämpfen.
Brandpilze breiten sich während der Blütezeit des Getreides aus und infizieren die ähren. Die Ernte ist unbrauchbar.
Schimmelpilze befallen die Ernte in feuchten Jahren. Das Getreide reift nicht aus oder verfault am Halm oder später im Lager. Gefährlich sind auch die von Pilzen gebildeten Gifte. Im Mittelalter und auch in der Neuzeit starben hunderttausende Menschen an Vergiftungen durch Mutterkorn (Claviceps purpurea). Der Pilz wächst an Roggen, Weizen, Dinkel und Gerste. Er gelangt beim Malen in das Mehl. Die Menschen vergiften sich an dem Brot und dem Brei den sie daraus zubereiten. Auch Tiere sterben an dem Getreide, wenn man sie damit füttert.
In Xanten kam es 857 n. Chr. zum Ausbruch einer Krankheit, die im Mittelalter als "heiliges Feuer" oder "Antoniusfeuer" bekannt war. Die Menschen zeigten Anzeichen von plötzlichem Wahnsinn, hatten das Gefühl zu verbrennen. Finger, Zehen, Hände und Füße wurden schwarz und vielen ab. Die Menschen starben in den Straßen. Sie glaubten an einer Strafe Gottes und meinten die Sünder würden nun im Fegefeuer brennen. 943 starben etwa 40.000 Menschen in Frankreich in der Region um Limoges an derselben Krankheit. Im August 1581 kostete sie in Dörfern des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 523 Menschen das Leben. 1596/97 gab es eine europaweite Hungersnot, die von solchen Vergiftungen begleitet war. Bis ins 20. Jahrhundert gab es immer wieder Massenvergiftungen, obwohl der Zusammenhang zwischen dem Mutterkorn und den Vergiftungen seit dem 17. Jahrhundert bekannt war. Bereits 1630 hegte ein Französischer Arzt den Verdacht, dass es so sei und wies die Vergiftung mit Hilfe von Hühnern nach. Man glaubte ihm nicht. Erst nach weiteren Ausbrüchen wurde 1676 der Zusammenhang neu hergestellt. Zum ärztlichen Allgemeinwissen wurde diese Erkenntnis aber erst 1782 als der Arzt Johann Taube die "Geschichte der Kriebel-Krankheit" veröffentlichte.
Es gibt zwei Formen. Bei der "Brandseuche" ziehen sich die Blutgefäße in den Gliedmaßen zusammen, so dass Arme und Beine nicht mehr durchblutet werden. Es werden zunächst Finger und Zehen taub. Dann folgt ein brennender Schmerz in den Extremitäten. Auf der Haut bilden sich Blasen. Die Schmerzen lassen nach während die Glieder gefühllos werden, eintrocknen und dann vom Körper abfallen. Meistens - aber nicht immer - sterben die Betroffenen.
Bei der "Krampfseuche" spannen sich die Muskeln schmerzhaft hart an und bleiben teilweise über Stunden in unnatürlichen Stellungen versteift. Diese Form beginnt mit einem Kribbeln der Haut. Es kommen Hitzegefühl, Halluzinationen und epileptische Anfälle dazu. Besonders bei Kindern können langanhaltende tägliche Anfälle zum Tod führen.
Etwa 200.000 Menschen starben an den Mutterkorn-Vergiftungen. Sehr viel mehr erlitten dauerhafte Schäden.
Besonders die Armen waren davon betroffen. Das saubere Getreide wurde an die Lehnsherren abgegeben. Für die unteren Bevölkerungsschichten blieben nur die ausgesiebten Reste. Der französische Arzt Vétillard schrieb in einem Bericht über das Antoniusfeuer 1770 in Frankreich: " ...ein armer Landarbeiter, dessen Not sehr groß war, bettelte einen Getreide siebenden Bauern um den verworfenen Teil an. Er missachtete alle Warnungen und verwendete das Getreide zum Brot backen. Im Verlauf eines Monats starben der Mann, seine Frau und zwei seiner Kinder. Einem dritten Kind, das noch an der Brust genährt wurde, hatte man Brei aus diesem Mehl gekocht; es entging dem Tode, wurde aber schwachsinnig und verlor beide Beine."
Die letzten Massenvergiftungen gab es in den 1950ern in Südengland und Frankreich.
Der Pilz kann auch heute nicht mit chemischen Mitteln bekämpft werden und kommt noch immer in unserem Getreide vor. Um ein übermäßiges Auftreten zu vermeiden wird Hybridgetreide mit starker Pollenbildung ausgesät. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Ähren schnell bestäubt werden und die Blüten sich schließen bevor der Pilz sie erreicht. Durch Pflügen werden die Dauersporen des Pilzes in den Boden eingearbeitet. Sie können nicht keimen und kein neues Getreide infizieren.
Eine Beimischung bis 1 % Mutterkorn zum Getreide gilt als unbedenklich. Zugelassen sind nur 0,05 %. In manchen Jahren sind hohe Konzentrationen im Getreide und auch im Mehl nachweißbar. 2003 waren die Mutterkörner kleiner als gewöhnlich und konnten nicht sorgfältig genug ausgesiebt werden. Auch im Jahr 2004 gab es sehr viel Mutterkorn im Roggen und es kamen Mehle mit erhöhten Toxingehalten in den Handel. 1985 bis 2002 wurden in 26 % der getesteten Roggenproben und in 55% der getesteten Weizenproben Mutterkorntoxine gefunden. In Kanada waren 1985 bis 1992 95% der getesteten Roggenmehle belastet.
Eine akute Vergiftung verursacht Kopfschmerzen, Durst, Übelkeit, Krämpfe, Empfindungsstörungen in Armen und Beinen und Fehlgeburten. Die Toxine werden mit der Muttermilch auf das Kind übertragen, sofern sie nicht die Muttermilchbildung ganz behindern. Mutterkornanteile ab 8% sind tödlich und verursachen das Antonius-Feuer.
Die schwarzen Mutterkörner werden vor dem Mahlen in der Mühle vom Getreide getrennt. Wer ungemahlenes Getreide kauft, muss die schwarzen Körner und ihre Bruchstücke selbst entfernen. Durch ungesiebtes Getreide im Müsli kam es 1985 zum letzten bekannten Fall einer Mutterkorn-Vergiftung in Deutschland. Betroffen war ein 13-jähriges Mädchen.

geschwungene Linie